18.Juni
Au revoir Cannes. Ich bin mit meinem F*ck Zuck-T-Shirt natürlich nicht in den Meta-Beach gekommen, dafür habe ich kurz im Campaign House im Canopy vorbeigeschaut. Leider musste früher wieder zurück, weil zentrale Entscheidungen für unsere Agentur HAUPTGEWINN anstehen. Schließlich haben wir morgen unseren Positionierungs-Workshop, der uns zukunftsfähig machen soll. Das wird ein dickes Brett, aber ich freu mich drauf. Es macht deutlich mehr Laune über eine positive Zukunft nachzudenken, als gemeinsam mit dem Controlling des Kunden Angebote (nach unten) nachzubessern. Und einen Feiertag dafür zu opfern, ist für uns Selbständige natürlich eh kein Thema.
19.Juni
Unsere Agentur ist leer, nur der Konfi ist aufmunitioniert. Ein kleiner, bescheidener Brunch für insgesamt vier Menschen:
- Anastasia, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohene Food-Marketingexpertin, die mit mir zusammen erfolgreich den BRUNNBRÄU und seine Produkte modernisiert hat (und so ein bisschen die Rolle von Maria übernommen hat)
- Bernd, unser Berater, Coach und Mentor, war selbst mal CEO einer Großagentur, ist mit allen Wassern gewaschen und residiert den Großteil des Jahres an der Cote d’Azure
- Maria, meine Co-Geschäftsführerin und Mitinhaberin, die nach der Geburt ihrer Tochter Josefa noch stillt, aber das Geschehen in der Agentur mit großem Interesse verfolgt (insbesondere die Aktivitäten von Anastasia)
- Und finalmente me, myself and I, Andreas Haupt, The Creative One, der Gründer dieses Ladens, der ihn in den vergangenen über 20 Jahren über viele Höhen und durch einige Tiefen geführt hat.
Und damit so ein Positionierungs-Workshop auch zielgerichtet abläuft, habe ich mit Bernd vorab eine Agenda besprochen, um möglichst effizient zu arbeiten:
1. Schonungslose Bestandsaufnahme
2. Bedarfsanalyse (aus Markt- und Kundenperspektive)
3. Vorschläge für die Repositionierung
4. Diskussion und Entscheidung
Nach einem kleinen Smalltalk stelle ich die Agenda vor.
Bernd eröffnet: „Sitzt ihr gut? Was ich euch jetzt präsentiere, haut euch sonst vom Hocker. Ihr merkt es ja jetzt schon an eurem Portfolio, an der New Business-Quote und nicht zuletzt seht ihr es in der BWA: Die glorreichen Zeiten für Agenturen sind vorbei, endgültig. Die Konjunktur im DACH-Raum lahmt, Besserung ist nicht in Sicht. Marketers müssen sparen, eure Mitarbeitenden aber wollen mehr Kohle und weniger arbeiten. Und dann kommt noch die KI, die Dominanz globaler Plattformen und der Fachkräftemangel. Außerdem seid ihr eine klassische ‚Ich mach alles-Agentur‘. Keine klare Positionierung, kein wirklich uniques Leistungsversprechen und ein ziemlich kunterbuntes Portfolio an Services und Kunden. Das kann so nicht weitergehen. Ihr müsst an euch und euren Prozessen arbeiten.“
Ich grätsche dazwischen: „Danke, Bernd für deine Analyse und den wirklich extrem aufbauenden Einstieg, aber wir lesen ja auch gelegentlich Fach- und Wirtschaftsmedien. Deshalb glaube ich können wir Punkt 1 der Agenda abkürzen: Es war schon mal leichter, gerade für Agenturen unserer Größe. Und es wird in Zukunft noch deutlich härter zur Sache gehen. Und wegen unserer Positionierung sitzen wir ja hier zusammen. Du weisst doch ganz genau, dass wir weitestgehend mit Empfehlungsmarketing groß geworden sind. Ein zufriedener Kunde hat den nächsten gebracht. Und so weiter. Das hat bis vor kurzem funktioniert.
Ich würde gerne mal etwas konstruktiver weitermachen mit dem, was der Markt und unsere Kunden so brauchen und nachfragen. Einfach zusammengefasst würde ich sagen: kurzfristigere Lösungen bei maximaler Kosteneffizienz. Das steht in diametralem Zielkonflikt mit längerfristigen Verträgen und planbaren Umsätzen für die Agenturen. Auf deutsch: So kann keiner arbeiten.“
Bernd unterbricht mich: „Heul nicht rum, Andreas, mit der Realität musst Du künftig leben. Laut Nielsen wollen 60 Prozent der Marketers in Europa ihre Ausgaben in diesem Jahr kürzen, das wird euch auch treffen. Und erzähl mir nicht, dass man nicht günstiger arbeiten kann. Offshore-Stundensätze oder die KI liegen deutlich unter dem, was ihr so aufruft. Und mit dem wachsenden Trend zum Inhousing bei den Kunden müsst ihr auch klarkommen.“
„Hey Jungs, bitte. Ich glaube, wir wissen alle, dass die Situation ernst ist. Wir wollen uns doch jetzt nicht in Worst-Case-Szenarios reinsteigern, sondern zukunftsgerichtet brainstormen“, ruft Maria bestimmt.
Ich nehme den Ball auf: „Gut, dann kürzen wir Punkt 1 und 2 der Agenda ab und kommen direkt zu Punkt 3: Vorschläge zur Repositionierung. Damit wir nicht ganz von Null zu starten, würde ich schon mal vier Varianten zur Diskussion stellen:
1. Wir werden DIE Agentur für die Rüstungsindustrie
2. Wir spezialisieren uns auf B2B und eine zukunftsträchtige Branche
3. Wir werden DIE Agentur für die Best Ager-Zielgruppe
4. Wir werden eine Kommunikationsberatung mit KI-Spezial-Kompetenzen
Maria ist außer sich: „Bist Du verrückt, Andreas. Rheinmetall, Heckler&Koch & Co als Kunden. Das kannst Du vergessen. Da zieht niemand in der Agentur mit. Vielleicht höchstens unser Volo Viktor, weil er Drohnen cool findet. Ich finde das moralisch komplett absurd. Da bin ich raus und sicher nicht die Einzige.“
Bernd räuspert sich: „Also, Maria, ich kann die Überlegung von Andreas total nachvollziehen. Das ist ein Markt, der die nächsten Jahre stark wachsen wird in Deutschland und Europa. Allerdings werden sich die Werbespendings der Rüstungsindustrie eher in Grenzen halten. Vielleicht wird Heckler&Koch noch Sponsor beim FC Bayern. Slogan: Besonders treffsicher. Aber was, wenn die dann gegen Rheinmetall BVB spielen? Parken die dann einen Panzer vor dem Tor?Jetzt mal im Ernst: Das meiste Geld wird von der Rüstungsindustrie wohl in Lobbying oder schwarze Kassen fließen. Deswegen wäre ich skeptisch.
Und was den Vorschlag mit den Best Agern betrifft, muss ich auch ganz klar abraten. An was hast du da gedacht? An so eine Art ,Bellheim für Werber‘? Mit Peter Haller und Sir Martin Sorrell im Beirat? Ja, Menschen jenseits der 60 sind aktuell die zahlenmäßig größte Gruppe in unserer Gesellschaft. 2040 werden es dann die über 50jährigen sein. Aber die meisten der heute über 60jährigen denken bei altersgerechter Werbung eher an Rotwein, E-Bikes und Südtirol-Urlaub als an Treppenlifte, Schmerzsalben und Potenzmittel. Schaut euch doch mal einen ZDF-Werbeblock am Vorabend an. Wollt ihr dafür die Spots produzieren? Und was das Allerbeste ist: die Marketer dieser Seniorenprodukte wollen ,junge, frische Ideen‘, keine Vorschläge von alten Hasen. Warum gibt es von Porsche noch keinen Rollator? Eben! Glaubt mir, Best Ager-Marketing wäre für eure Zukunft der absolute Worst Case.“
„Gut, dann wissen wir jetzt zumindest, was wir nicht wollen, Bernd“, stichelt Maria.
„Anastasia, du hast bisher gar nichts gesagt, Was meinst du“, versuche ich sie ins Gespräch mit einzubinden.
Anastasia zögert ein bisschen: „Ich kenne mich im deutschen Agenturmarkt nur wenig aus. Aber ein bisschen mit dem Thema KI. Was ich euch bisher nicht erzählt habe: Ich habe für das ukrainische Militär einige Zeit vor meiner Flucht an Drohnen-Steuersystemen mitgearbeitet, bei denen Künstliche Intelligenz eine große Rolle gespielt hat. Dabei haben wir stark mit Open Source-Software programmiert. Aber bitte behaltet das für euch!“
Bernd ist beeindruckt: „Wow, Anastasia, das sind ja ganz neue Dimensionen und Horizonte. Was uns aber beim Thema KI klar sein muss. KI wird in den nächsten Monaten Commodity in Agenturen. Einer dieser unverschämt omnipräsenten Pitchberater hat vor kurzem gesagt, dass KI längst ein Hygienefaktor in Agenturen ist. Die Verwendung von KI sei demnach kein Argument für oder gegen eine Agentur, denn die Nutzung werde selbstverständlich sein.“
Maria hält dagegen: „Ja, klar Commodity und so. Weisst Du was, Bernd, diesen ganzen Mist erzählen sie jedes Mal wieder, wenn eine neue Technologie-Welle kommt. Und was passiert: Der Mensch ist der entscheidende Faktor, meist als Bremser. Wir scheitern doch schon, wenn Microsoft eine neue Office-Version vorstellt. Wo sollen denn auf die Schnelle die ganzen KI-Experten in Agenturen herkommen? Wir spielen doch meistens nur ein bisschen mit ChatGPT & Co. rum, lassen uns Texte vorschlagen oder prompten Bilder. Aber das ist doch kein Businessmodell (außer für OpenAI), geschweige denn zukunftsfähig. Und wer von uns kann denn komplexere KI-Agenten programmieren?“
„Ich könnte das für Hauptgewinn versuchen“, wirft Anastasia ein. „Es gibt doch schon Agenturen, die beispielsweise eine Bild KI vermarkten, die markenkonforme Bildwelten erschaffen können. Vielleicht müssen wir uns eher technischer positionieren und KI-Agenten für unsere Kunden entwickeln?“
„Finde ich einen sehr guten Ansatz, Anastasia.“, lobe ich. „Lass mich eines noch ergänzen: Vor kurzem habe ich einen Fachbeitrag über die modernen CMOs gelesen. Sie sind kein Creative Director mehr, sondern ,Business-Architect‘. Verantwortlich für neue Businessmodelle, Datenkompetenz, Digitalisierung, Automatisierung und auch für die People Culture im Unternehmen. Lasst uns HAUPTGEWINN weiterentwickeln. Künftig heißen wir ,HUMAIN', Slogan: We support Business Architects!“ Was meint ihr?
„Kein schlechte Idee, Andreas, aber leider sagt mir Google gerade, dass schon jemand diese Idee hatte. Ich zitiere Gemini: ,Humain ist ein saudisches Unternehmen für künstliche Intelligenz, das im Rahmen des Public Investment Fund gegründet wurde, um die KI-Strategie des Königreichs voranzutreiben.' Ich glaube, die haben deutlich mehr Kohle als ihr“, wirft Bernd ein.
Stille. Es folgt eine längere Pause. Und dann eine Kaffee- und Rauchpause.
Nach der Pause meldet sich Maria zu Wort: „Andreas, Anastasia, ich kann eure Gedanken nachvollziehen, aber – bitte entschuldigt – sie sind für HAUPTGEWINN unrealistisch. Wie sollen wir uns als mittelständische Agentur mit gerade noch 15 Mitarbeitenden in Sachen KI mit den großen Agentur-Networks und Beratern dieser Welt messen? Die haben tausende Mitarbeitende im Einsatz und deutlich mehr finanzielle Mittel. Damit können wir niemals konkurrieren.
Wo sind wir wirklich glaubwürdig? Doch nur im Mittelstand, dem es ähnlich geht wie uns. Der in seiner KI-Entwicklung noch eher am Anfang steht und wo künstliche Intelligenz eher die Ausnahme als Commodity ist. Der Mittelstand hat ganz andere Aufgaben- und Fragestellungen als die großen multinationalen Konzerne. Wenn wir noch irgendwo punkten können, dann dort. Und seid mir nicht bös, sicher ist die Positionierung unserer Agentur wichtig. Aber 98 Prozent unserer Kunden bekommen wir immer noch ganz anders. Einer unserer Kunden hat ein Problem, wir lösen es (hoffentlich). Und der zufriedene Kunde empfiehlt uns weiter. Wir werden auch in Zukunft nicht im Top-Ranking bei ChatGPT oder Gemini auftauchen, wenn Unternehmen nach einer KI-versierten Kommunikationsberatung suchen.“
Ui, das sitzt. Da fällt selbst Bernd und mir nicht mehr wirklich viel ein. Auch Anastasia sieht mich ein wenig skeptisch an.
„Gut, Maria. Dann schlage ich vor, wir verschieben die Positionierungsdebatte auf einen neuen Termin in etwa vier Wochen und verbinden das Ganze gleich mit einer New Business-Strategie. Oder, was meint ihr?“
Mein Vorschlag wird einstimmig angenommen. Maria steht als Erstes auf: "Einen Moment noch, bitte. Bitte bringt nächstes Mal eine halbe Stunde Overtime mit. Ich habe auch noch ein Thema, das mir wichtig ist."
Fortsetzung folgt