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Ausgabe

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Der nächste Schritt

27.10.2025

5

Minuten

Portrait-Foto von Christian Faltin

Christian Faltin

Christian Faltin

Christian Faltin

Christian Faltin

Autor / Media Coach / Senior PR-Executive für die Digitale Wirtschaft

Andreas Haupt mit Co-MD Maria und Berater Bernd

Andreas Haupt mit Co-MD Maria und Berater Bernd

Andreas Haupt mit Co-MD Maria und Berater Bernd

Andreas Haupt mit Co-MD Maria und Berater Bernd


Ende September


Habt ihr schon mal Kolleg:innen entlassen, die ihr nur Monate vorher händeringend bekniet habt, zu bleiben? Menschen, die einem – trotz des ein oder anderen Alltagsknatsches – irgendwie ans Herz gewachsen sind? Das waren keine schönen Personalgespräche. Die meisten traf es völlig unvorbereitet. Und da war alles dabei an Reaktionen, was man sich nur vorstellen kann: vom lauten Abgang mit Türknallen bis hin zu tränenreichen Abschieden, bei denen einem das Kündigungsschreiben als Kloß im Hals stecken bleibt. Aber Maria und ich haben das gemeinsam durchgezogen, wie in unserem letzten Meeting vereinbart. Wir sind Ende September von 14 auf 7 Mitarbeitende runter. Schließlich wollen wir nicht in die Insolvenz rutschen, wie so einige bekanntere Agenturen gerade.

Kacke ist es trotzdem. Auch für die Mitarbeitenden von HAUPTGEWINN, die bleiben. Dass die Stimmung im Keller ist, muss ich nicht erwähnen. Da hilft es auch nicht, dass uns ein Hersteller von Softeismaschinen mit einer B2B-Kampagne im großen Stil (3 Anzeigenmotive in Fachmedien) beauftragt hat.

Gerade kommt eine Mail von Bernd. Unser mit allen Wassern gewaschener Agenturberater und Ex-Network-CEO meldet, dass unser Meeting in Sachen Kooperation oder Agenturverkauf Mitte Oktober stattfinden kann. Wir fixen einen Termin. Bin gespannt, welche Optionen er uns aufzeigen kann.

Mitte Oktober

Bernds Flug aus Nizza war pünktlich. Ich sitze mit Maria und ihm im Konfi, bei kleinem Catering und der neuen alkoholfreien Rosé-Traubenschorle, die wir als Agentur für den Brunnbräu, die Brauerei meines Vaters, entwickelt haben. „Coole Idee. Da fühle ich mich ja fast ein bisschen wie zu Hause an der Cote d’Azur“, sagt Bernd. „Und wie läuft der ,Traubensecco‘ im Verkauf?“ „Die Absatzzahlen prickeln“, lächelt Maria.

„Was ich euch mitgebracht habe, ist leider weniger prickelnd“, antwortet Bernd. „Ihr habt mich ja gebrieft, euch heute ein paar Optionen in Sachen Kooperation oder Verkauf aufzuzeigen. Lasst mich mit dem Verkauf starten, denn das Thema können wir meines Erachtens relativ schnell beerdigen.“

„Moment, Moment,“ grätzsche ich dazwischen. „Gerade letzte Woche hat sich eine Kreativagentur eine größere B2B-Agentur einverleibt.“ „Einverleibt ist genau richtig", smilt Bernd. "Und glaub mir, Andreas, Du möchtest nicht wissen, was die für ihren Laden noch bekommen haben. Aber damit sind wir mitten im Thema. HAUPTGEWINN hat aktuell noch sieben Mitarbeitende, euer Umsatz liegt dieses Jahr – freundlich geschätzt - bei einer knappen Million, die Rendite nähert sich der Nullmarke. Für das Agentur-Tinder bedeutet das: Ihr werdet von 99 Prozent der möglichen Interessenten nach links weggewischt. Und mit eurer Positionierung „Mittelstand, vorrangig B2B und da eher die Slow Mover“ seid ihr im Storytelling der Heldenreise eher der Tiefpunkt.

Nur mal zur Einordnung: Über 11.000 Agenturinhaber:innen suchen perspektivisch eine Nachfolge. Fast 2.000 davon allein in diesem Jahr, sagt der Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2024 des Wirtschaftsministeriums. Das ist der Boomer-Exitus der Agenturbranche. Natürlich könntet ihr Euer Team und die Kunden an eine andere Agentur verkaufen, als Asset-Deal. Da bekommt ihr tendenziell aber auch nix. Weil: Laufzeit der Kundenverträge multipliziert mit dem Umsatz abzüglich Personalkosten. Da könnt ihr den Job auch gleich selber machen.“

„Ok, verstanden, Bernd. Ein Asset Deal scheidet aus, weil unsere Vertragslaufzeiten mit den Kunden zu kurz sind“, antworte ich. „Wenn wir für andere Agenturen nicht spannend genug sind, wie schaut es denn mit Einzelpersonen oder Investoren aus?“

„Weisst Du, Andreas, ich berate gerade eine spezialisierte Agentur, etwa in eurer Größenordnung. Beide Gründer, eine Frau und ein Mann, sind hoch in den Fünfzigern und wollen sich eigentlich aus dem Agenturbusiness verabschieden. Erst haben Sie Verkaufsgespräche geführt. Mit völlig unrealistischen Preisvorstellungen. Die sind im ersten Schritt natürlich gescheitert. Für einen Management-Buyout fehlten ihnen entsprechende Kandidat:innen in der zweiten Ebene. Dann wollten sie eine externe Nachfolgerin suchen. Mitte 30 bis Mitte 40, jemanden mit langjähriger Erfahrung im Agenturbusiness, die den Schritt vom Senior zum eigenen Laden gehen will. Sie haben 15K in einen Headhunter investiert, dem sie auch noch ein gutes Dutzend direkte Kandidatinnen vorgegeben haben. Der Headhunter hat in Summe über 100 Kandidat:innen kontaktiert. Was schätzt du, wie viele haben Interesse gezeigt.“

„Puh, wenn du mich so fragst, Bernd, vielleicht 10“, antworte ich.

Bernd lacht: „Eine Einzige wollte ein Gespräch führen. Leider hat sie sich nach dem ersten Telefonat nie wieder gemeldet. Ghosting at its best. Um heute eine Agentur zu gründen, brauchst Du nur ein paar Saas- und KI-Tools und Telefon und Rechner. Warum sollte ich als Gründer:in Geld für eine bestehende Agentur ausgeben? Wo doch jeder aktuell sogar in den Fachmedien mitbekommt, dass die Budgets sinken und die Anforderungen der Kunden steigen.

Wisst ihr, wer im Augenblick im Agenturbusiness sehr gut Kohle macht? Ich und die wenigen anderen Agentur- bzw. M&A-Berater. Ihr wisst doch wie das läuft: Für 10K erzählen sie euch, was ihr eh schon kennt. Für 20K geben sie Euch Vorschläge und Ideen, die ihr schon verworfen habt, weil sie nicht funktioniert haben. Und für 50k bringen sie euch Kauf-Interessenten, die leider nach dem ersten Gespräch absagen.“

„Okok, wir haben es verstanden, Bernd“, sagt Maria säuerlich. „Wir haben dich aber nicht einfliegen lassen, um hier im Depri-Modus im Konfi zu enden. Wie siehst Du das Thema Kooperationen? Du kennst doch Florian, Jean-Remy und die Welt?“

Bernd lächelt: „Ich habe da eine ganz andere Idee, Maria. Eine die für dich und Andreas meines Erachtens ganz hervorragend funktionieren könnte.“

In diesem Augenblick klingelte Bernd’s Telefon. Er schaut auf das Display, hebt entschuldigend eine Hand und verlässt den Konfi. Maria und ich schenken uns eine Tasse Tee ein und warten.

Die finale Folge aus dem "Tagebuch eines Agenturchefs" erscheint am 11. November.