Was in der Folge davor passierte: Maria und Andreas haben die Hälfte der HAUPTGEWINN-Belegschaft entlassen (um nicht in die Insolvenz zu rutschen) und sondieren mit Bernd, dem Agenturberater ihres Vertrauens, im Konferenzraum gemeinsam die Themen Verkauf und Kooperation. Viele Optionen scheinen aussichtslos, doch Bernd erweckt den Eindruck, trotzdem eine Lösung zu haben. Da klingelt sein Handy und er verlässt den Konfi.
17. Oktober
Maria und ich schenken uns einen eher mittelprächtigen Kaffee aus der Thermoskanne ein, während Bernd telefoniert. Unsere Siebträgermaschine haben wir in den Keller gestellt. Sie passte nicht mehr zu unserer wirtschaftlichen Situation. „Hast du eine grobe Ahnung, worauf er hinaus will“, fragt mich Maria. „Ganz ehrlich, nope. Nicht im Entferntesten“, antworte ich. „Was ich mir wünschen würde, wäre aber auf jeden Fall eine Lösung, in der wir weiter zusammenbleiben können – also beruflich, meine ich.“
„Wieso eigentlich nur beruflich?“, lächelt Maria. Noch bevor ich antworten kann, geht unsere Konfi-Tür auf und Bernd kommt dynamisch in den Raum zurückgeschwebt. „Jetzt haben wir eine Lösung. Ich weiß, ihr haltet mich wahrscheinlich für ein zynisches A….loch, dem Eure Situation wurscht ist, Hauptsache, ich verdiene meine Beratungskohle. Das mag manchmal stimmen, aber nicht in eurem Fall. Deswegen setzt euch bitte und hört euch meinen Vorschlag an.“
Wir setzen uns und schauen Bernd mit einem Gesichtsausdruck an, den sonst wahrscheinlich nur Erben beim Notar haben, die völlig unverhofft zu einer größeren Erbschaft kommen.
„Also“, startet Bernd. „Das Schöne an guten Lösungen ist meistens, dass man nicht sofort darauf kommt, aber sich im Nachhinein fragt, warum man nicht viel schneller auf diese Idee gekommen ist. Das eben war Viktor, dein Vater, Andreas.“
„Warum telefonierst du mit meinem Vater? Und was hat er mit unserer Lösung zu tun?“, antworte ich leicht gereizt. „Ich telefoniere mit ihm, weil du es nicht getan hast. Und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht hättest. Ich weiß, euer Verhältnis ist nicht das Allerbeste. Aber ich hatte den Eindruck, seitdem ihr mit HAUPTGEWINN die Markenstrategie und Produktportfolio des BRUNNBRÄU modernisiert habt, hat sich etwas zum Besseren gewendet.
Und das findet dein Vater übrigens auch, Andreas. Ich glaube, er hat damals zum ersten Mal so richtig verstanden, was Werbung und Marketing für ein Unternehmen leisten können, wenn man es richtig angeht. Und Maria, Anastasia und Du, Andreas, ihr habt die Umsatzzahlen des BRUNNBRÄU extrem positiv beeinflusst. Das hat deinem Vater sehr imponiert, obwohl er es dir wahrscheinlich weder gezeigt noch gesagt hat.
Ich weiß, er hat dich früher als Werber eher in der Image-Kategorie Gebrauchtwagenverkäufer oder Versicherungsvertreter abgelegt. Das hat dich verletzt, aber das hat sich auch geändert. Deshalb habe ich mit Viktor über die aktuelle Lage von HAUPTGEWINN gesprochen. Und auch über seine Situation. Er ist mit Mitte 70 nicht mehr der Jüngste und langsam merkt er, dass es höchste Zeit ist, konkreter über eine Nachfolgelösung nachzudenken.
Gemeinsam haben wir folgenden Vorschlag für euch entwickelt: Der BRUNNBRÄU übernimmt HAUPTGEWINN für einen symbolischen Preis - inklusive eurer fünf Mitarbeitenden, sofern die wollen. Die Agentur kümmert sich dafür künftig inhouse um alle Funktionen von Marketing, Werbung und Vertrieb für den BRUNNBRÄU. Sie darf weiterhin auch für andere Firmen arbeiten, sofern es keine Wettbewerber des BRUNNBRÄU sind.
Du, Andreas, wirst Geschäftsführer des BRUNNBRÄU und übernimmst in der Geschäftsführung die Verantwortung für die Bereiche Marketing und Vertrieb, Personal/HR sowie Nachhaltigkeit und Umwelt. Du, Maria, würdest als Vorsitzende der Geschäftsführung die Bereiche Produktion, Logistik/Lager und Finanzen verantworten. Eure beiden Verträge wären mit Minimum 150k dotiert und würden erstmal über drei Jahre laufen – mit einer Option auf Verlängerung. Viktor würde euch für eine Übergangszeit weiterhin beratend in der Geschäftsführung zur Verfügung stehen. Außerdem möchte Dir Dein Vater, Andreas, Anteile am BRUNNBRÄU übertragen. Idealerweise so in Tranchen aufgesplittet, dass möglichst wenig Steuer anfällt. Voraussetzung wäre allerdings, dass ihr beide nach Kreuzostheim – oder zumindest in die Nähe – zieht. So, das wären die groben Rahmenbedingungen. Was sagt ihr?“
Ich bin erst mal baff. Maria auch, das sehe ich ihr an. „Danke Bernd“, sage ich. „Das kommt jetzt für mich und uns sehr überraschend. Ich würde mit Maria gerne mal unter vier Augen drüber sprechen.“ „Das kann ich gut nachvollziehen“, sagt Bernd. „Was haltet ihr davon, wenn ich euch jetzt allein lasse und wir uns morgen selbe Uhrzeit wieder hier treffen? Falls ihr noch Detailfragen habt.“
„Gerne, Bernd“, sagt Maria. „Bevor Du gehst, beantworte uns aber bitte eine Frage: Warum will Viktor mir die Leitung der Geschäftsführung übertragen sowie die Produktion und die zentralen operativen Bereiche? Ich bin jetzt nicht gerade die Brau-Expertin und habe auch Brauwesen nicht studiert. Ganz zu schweigen davon, dass ich ein kleines Kind habe.“
„Du hast Viktor, aber auch mich, Maria, mit deinen Analyse- und Planungs-Fähigkeiten und deiner rationalen Sicht der Dinge immer beeindruckt. Für mich bist du eine perfekte CEO. Und in Sachen Kinderbetreuung hat Viktor schon eine Lösung für Dich. Andreas hingegen ist der geborene Kreative, der Mann fürs Improvisieren, ein bisschen sprunghaft, der auch mal verrückte Dinge tut. Das war für HAUPTGEWINN lange Jahre die perfekte Kombination. Ich glaube, diese Kombination eurer Charaktere könnte auch für den BRUNNBRÄU perfekt funktionieren. Vielleicht sogar privat“, zwinkert Bernd. „Der BRUNNBRÄU soll doch ein Familienunternehmen bleiben. Ganz zu schweigen davon, dass ihr eure finanziellen Sorgen erst mal los wärt. Aber, jetzt lasse ich euch allein.“
Nachdem Bernd gegangen ist, schweigen Maria und ich und schenken uns erst mal einen Kaffee nach.
„Du zuerst, Chefin“, sage ich leicht säuerlich zu Maria. „Ok, beleidigte Leberwurst, das ist jetzt ein bisschen unfair, aber ich versuche es mal aus dem Stand“, antwortet Maria. „Dass wir mit HAUPTGEWINN nicht so richtig weiterkommen, ist ja unbestritten. Wir haben gerudert wie die Wilden, sind aber rückwärtsgefahren. Die Arbeit für den BRUNNBRÄU hat allen intern sehr viel Spaß gemacht. Und sie war erfolgreich. Insofern wäre das Inhousing aus unternehmerischer Sicht für mich durchaus eine Option. Die Rahmenbedingungen, die uns Viktor bietet, finde ich auch ok. Dass Bernd und dein Vater uns dadurch zusammenkuppeln wollen, dass…“
„…Halt, Maria. Bevor Du etwas sagst, musst Du eines wissen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns nie getrennt und wären schon längst wieder ein Paar. Deine Liaison mit Mario war für mich die Hölle. Und dann noch Josefa, euer gemeinsames Kind. Wäre er nicht unser Großkunde gewesen, hätte ich mir Grausamkeiten für ihn ausgedacht, auf die selbst Sebastian Fitzek nicht gekommen wäre. Dass Du diese Ratte dann wegen seiner Affäre verlassen hast, hat mir wenigstens wieder ein kleines Fünkchen Hoffnung geschenkt.
Du kennst meine angespannte Situation mit meinem Erzeuger. Erst hatte er keine Zeit für mich als Kind und mich dann jahrzehntelang als Erwachsener bestenfalls ignoriert. Dass er unseren Relaunch für den BRUNNBRÄU wirklich wertschätzt, hat er mir nie gezeigt. Und dass er dich zur Vorsitzenden der Geschäftsführung ernennen will, ist ein typischer Schachzug für ihn, um den Sohnemann wieder mal möglichst kleinzumachen.“
„Moment, Andreas. Das kann man so sehen. Aber er will dich als Nachfolger, dir Anteile geben und ich glaube, er kennt deine Stärken, aber auch deine Schwächen ganz gut. Ich glaube, dieses Angebot an uns, ist seine Art, ein bisschen um Verzeihung zu bitten für das, was früher falsch zwischen euch gelaufen ist.“
„Mag sein, aber das kommt ein bisschen arg spät. Und im Übrigen ist es alles andere als uneigennützig. Er hilft ja nicht nur mir beziehungsweise uns, sondern würde auf diese Art und Weise auch die Zukunft des BRUNNBRÄU sichern. Es gibt für mich nur einen Grund, das Angebot meines Vaters anzunehmen: Wenn du und deine Tochter mitkommen.“
„Ist das ein Antrag?“, fragt Maria. „Klar, zukünftige Chefin. Wenn du ihn annimmst, mit doppeltem Durchschlag und Unterschrift. Dafür würde ich sogar ein bisschen Luft aus meinem Ego lassen und in die Provinz nach Kreuzostheim ziehen,“ antworte ich.
„Das kommt jetzt ein bisschen plötzlich, Andreas. Gib mir ein bisschen Bedenkzeit. Ich melde mich bei Dir. Und lass uns den Termin mit Bernd bitte auf kommende Woche verschieben“, sagt Maria.
24. Oktober
Seit Tagen lässt mich Maria auf ihre Antwort warten. Das ist die Hölle.
Da klingelt es an der Bürotür. Der DHL-Bote bringt ein Päckchen. Für mich, von Maria. Ich reiße die Verpackung auf: Im Inneren liegt eine handschriftliche Karte von Maria und ein Glas Senf. Auf der Karte steht: „Lieber Andreas, emotional ist meine Antwort auf deinen Antrag einfach gewesen, aber als zukünftige CEO des BRUNNBRÄU muss ich ja auch rational abwägen. Meine Entscheidung habe ich getroffen und ich gebe Dir meinen Senf dazu. Deine Maria“
Ich schaue mir das Senfglas genauer an. Es ist die Eigenmarke von REWE: Sie heisst „ja!“
10.November
Die letzten Tage habe ich auf Wolke 7 verbracht. Privat und beruflich. Ich werde Marias Lebenspartner, Josefas Ziehvater und ich werde KUNDE. Nie mehr Dienstleister, ab sofort nur noch Auftraggeber. Gut, wir haben beim BRUNNBRÄU natürlich auch Kunden, diese lästigen Wirte und Verbraucher. Aber mit denen werden wir schon irgendwie klarkommen.
Morgen fahren wir mit Maria und Josefa zu meinem Vater nach Kreuzostheim. Wir haben gestern telefoniert und ich habe den Eindruck, dass sich „Opa“ Viktor wirklich ehrlich gefreut hat. Und wenn wir uns einig werden, dann bekommt der BRUNNBRÄU ab Januar 2026 eine neue Geschäftsführung. Und die Familie Haupt wird größer. Komisch, ich werde genau das, was ich mir mit 20 niemals vorstellen konnte: Familienunternehmer.
P.S.: Bernd, der alte Bonzenberater und M&A-Profi, hat natürlich doppelt abgerechnet. Einmal unsere Beratung für HAUPTGEWINN und einmal die Nachfolge-Beratung für den BRUNNBRÄU. Aber in dem Fall zahle ich den Preis ausnahmsweise mal gerne.
ENDE




